Deutschland
Inhaltliche Schwerpunkte: Die deutschen Geschichtsschulbücher behandeln vor allem Napoleons Aufstieg, seine Kaiserkrönung sowie die Eroberung und Neuordnung Europas. Zudem steht Preußen, der Untergang Napoleons und der Nationalismus im Fokus.
Beispielquelle
„Napoleons Lebenslauf“ (Kolorierte Radierung nach einer deutschen Karikatur)
Die napoleonischen Plebiszite - Pseudodemokratie oder legitimierter Monarch?
Er war nun kein einfacher General und Konsul einer Republik, sondern Monarch. Nach der Leerung der Wahlurnen am 2. Dezember 1804 wurde das Ergebnis ausgezählt: 3 572 329 Franzosen stimmten dafür, nur 2579 dagegen. Damit erhielt Napoleon mehr Zustimmung als alle anderen Monarchen in Europa, die nie über ihre Herrschaft abstimmen ließen.[1]
Fast 99 Prozent der abgegebenen Stimmen sprachen sich jedes Mal dafür aus. Auch wenn man die Zahlen in dieser Höhe anzweifeln und Manipulationen vermuten kann, so besteht doch kein Zweifel daran, dass Napoleon zu dieser Zeit ein populärer und beim Volk beliebter Diktator war […].[2]
Fazit: Die deutschen Geschichtsbücher bieten kein einheitliches Bild von Napoleon an (Bandbreite von Bewertungen: glorifizierende Darstellungen bis zu vernichtenden Urteilen). Dabei ist keine Tendenz bzgl. der Schulart oder des Bundeslandes zu erkennen. Während Geschichte und Geschehen z. B. insgesamt kritisch mit Napoleon verfährt, ragen in Horizonte und Durchblick eher positive Aspekte hervor. Zeitreise nimmt dagegen ein wahres Aufwiegen seiner Person vor und lenkt die Schülerinnen und Schüler auch mit den Aufgabenstellungen in keine bestimmte Richtung. In der Konzeption und der Eingliederung Napoleons in die Lehrwerke erhält man den Eindruck, dass Napoleon zwar eine Episode deutscher Geschichte prägt, mittlerweile aber von den Ereignissen der letzten 200 Jahre überdeckt wurde.
Autorin: Michelle Büttner
Frankreich
Inhaltliche Schwerpunkte: In den französischen Geschichtsschulbüchern werden vor allem Napoleons Reformtätigkeit im Innern, die Grundprinzipien der napoleonischen Herrschaft sowie die Kaiserkrönung und das Erwachen des Nationalbewusstseins in Europa thematisiert.
Beispielquelle
„Le code Napoléon couronné par le temps“
Die Auslassung des militärischen Aspektes - Darstellung des gesamten Verfassertextes
Fort de ces victoires, Napoléon Ier lance la France à la conquête de l’Europe.[3]
À partir de 1803, Napoléon se lance à la conquête de l’Europe. Mais en 1812, il perd la plus grande partie de ses troupes lors de la campagne de Russie. Battu en Allemagne puis en France, il abdique en 1814. Après un bref retour (les Cent jours), il est définitivement vaincu à Waterloo en 1815.[4]
Fazit: Geprägt durch den gemeinsamen Lehrplan geben die französischen Lehrwerke ein nationales Geschichtsbild ihres ehemaligen Kaisers vor. Napoleon wird hinter den verschiedenen Dimensionen der Geschichte (Kultur, Gesellschaft, Politik, Wirtschaft usw.) versteckt und die Inhalte folgen in Bezug auf Napoleon keinem stringenten Verlauf. Das militärische Wirken Napoleons wird in den französischen Büchern nur sporadisch aufgegriffen. Er wird von seiner Rolle als Feldherr losgelöst und in andere Kontexte eingeordnet. Die Lehrwerke wollen nicht das Napoleonbild beschädigen und lassen daher den Untergang des großen französischen Herrschers aus. Die positiven Aspekte napoleonischer Herrschaft (Code civil, etc.), welche die Darstellung in den deutschen Schulbüchern nur ergänzen, sind die leitenden Gesichtspunkte in den französischen Lehrwerken.
Autor: Johannes Breiner
Russland
Inhaltliche Schwerpunkte: Die Darstellungen im Schulbücher konzentrieren sich auf den „Vaterländischen Krieg“ mit einem starken Fokus auf Militärgeschichte und Geschichte der „großen Männer“.
Zum Lehrplan
Ziel des russischen Geschichtsunterrichts ist u.a. die „Erziehung zum Patriotismus“. Dabei wird der Geschichtsunterricht aufgeteilt in „Geschichte Russlands“ und „Allgemeine Geschichte“. Das Ergebnis der Schulbuchanalyse wird am Beispiel der Schulbücher zur „Geschichte Russlands“ dargestellt.
Arbeitsmaterial und Arbeitsaufträge
Auszüge aus dem Frieden von Tilsit werden häufig als Quelle herangezogen. Das Bildmaterial (z. B. Schlachtgemälde) dient lediglich der Illustration und weniger als Arbeitsmaterial. Das Kartenmaterial (z. B. Schlachtverläufe) und die Arbeitsaufträge lassen einen militärhistorischen Schwerpunkt erkennen. Gefragt wird nach der Bedeutung einzelner Schlachten (v. a. Smolensk, Borodino), ebenso nach den Gründen und der Bedeutung des Sieges Russlands gegen Napoleon.
Fazit: Der Krieg gegen Napoleon wird als „Volkskrieg“ dargestellt, durch den das russische Nationalgefühl gestärkt worden sei. Durch den Kampf gegen den gemeinsamen Feind sei die gesamte russische Bevölkerung vereinigt worden. Die russischen militärischen Niederlagen werden zu rechtfertigen versucht, während die Siege seitens Russland besonders hervorgehoben werden. Napoleon selbst habe Russland unterschätzt und sei von der Kampfbereitschaft der Russen überrascht gewesen. Durch den Sieg Russlands über Napoleon wird Russland zum Befreier Europas erhoben. Der Sieg sei ohne den Patriotismus und die guten Strategien undenkbar gewesen.
Autorin: Jelena Menderetska
Großbritannien
Inhaltliche Schwerpunkte: Die Militärgeschichte und Politik der „großen Männer“ steht im Vordergrund. Insbesondere die militärischen Machthaber und deren Erfolge werden glorifiziert. Das Bild Napoleons variiert sehr stark zwischen Reformer, Revolutionär oder Reaktionär. Man bezieht sich auf die Perspektiven Großbritanniens, Russlands und Frankreichs, die deutsche sowie die österreichische Perspektive bleiben meistens unbeachtet.
Arbeitsmaterial
Die Schulbücher sind bezüglich ihres Erscheinungsbildes sehr heterogen. Die Seiten sind oftmals mit Bildquellen überladen, die britische Kriegshelden porträtieren oder Napoleon darstellen. Diese werden größtenteils nur zur Ausschmückung verwendet. Durch die epochenspezifische Konzeption der Schulbücher ist ein allgemeines Fazit hinsichtlich der Bedeutung des Themas im britischen Lehrplan schwierig zu ziehen.
Autorin: Michelle Rauschkolb
Österreich
Inhaltliche Schwerpunkte: In Klassenstufe 3 (7. Klasse nach dem deutschen Schulsystem) liegt der Schwerpunkt auf der Biographie Napoleons und dem Code civil, während in Klassenstufe 6 (10. Klasse nach dem deutschen Schulsystem) die großen Schlachten (insbesondere der Russlandfeldzug) in den Vordergrund rücken. Die Tiroler Aufstände sowie die Habsburger Monarchie nehmen in beiden Jahrgangsstufen außergewöhnlich viel Raum ein.
Arbeitsmaterial
Die einzelnen Schulbücher sind sehr heterogen und die Menge der Bild- und Textquellen sowie Darstellungsmaterialien schwankt stark. Insgesamt gibt es jedoch nur wenige Textquellen, welche meist auf die Tiroler Aufstände bezogen sind. Häufig werden Europakarten abgebildet. Portraits von Napoleon (oftmals in seinem Arbeitszimmer) und Andreas Hofer sind ebenfalls in allen Schulbüchern vertreten.
Fazit: Die Herrschaft Napoleons nimmt im österreichischen Bildungskanon nur eine Nebenrolle ein und wird kaum behandelt. Als wichtigste Errungenschaft wird der Code civil angesehen. Der Fokus liegt allerdings auf der regionalen Perspektive zur Zeit Napoleons, insbesondere den Tiroler Aufständen und der Habsburger Monarchie. Aus diesem Grund avanciert Andreas Hofer zur zweiten Schlüsselfigur neben Napoleon.
Autorinnen und Autoren: Johannes Breiner, Michelle Büttner, Jelena Menderetska, Michelle Rauschkolb
Fußnoten
[1] Giersberg, Sonja/Tieke, Ralf: Durchblick Geschichte 1. Braunschweig 2010, S. 308.
[2] Epkenhans, Michael: Geschichte und Geschehen. Sekundarstufe I 3. Stuttgart/Leipzig 2010, S. 103.
[3] Baylac, Marie-Hélène (Hrsg.): Histoire géographie: 3e. Paris 2007, S. 88.
[4] Ivernel, Martin: Histoire, géographie: 4e. Paris 2011, S. 82.
Schulbücher
Deutschland
Baumgärtner, Ulrich: Horizonte 8 (Hessen). Braunschweig 2007.
Christoffer, Sven [u. a.]: Zeitreise 3 (Hessen). Stuttgart/Leipzig 2013.
Epkenhans, Michael: Geschichte und Geschehen. Sekundarstufe I 3. Stuttgart/Leipzig 2010.
Giersberg, Sonja/Tieke, Ralf: Durchblick Geschichte 1. Braunschweig 2010.
Frankreich
Baylac, Marie-Hélène (Hrsg.): Histoire géographie: 3e. Paris 2007.
Ivernel, Martin: Histoire, géographie: 4e. Paris 2011.
Russland
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Danilov, D.D. [u.a.]: Vseobš č aja istorija. Istorija Novogo vremeni. Balass. Moskau 2012.
Sacharova, E.N.: Istorija Rossii. XIX - na č alo XX v. Mnemozina. Moskau 2003.
Sacharov, A.N./Bochanov, A.N.: Istorija Rossii. XIX vek . Russkoe slovo. Moskau 2011.
Vedjuškii, V.A./Burii, S.N.: Vseobš č aja istorija. Istorija novogo vremeni. Drofa. Moskau 2010.
Zagladin, N.V.: Vsemirnaja istorija Rossii i mira s drevnejšich vremen do konca XIX veka. Russkoe Slovo. Moskau 2005.
Zagladin, N.V.: Vseobš č aja istorija. Istorija novogo vremeni. Russkoe Slovo. Moskau 2011.
Zyrjanov, P.N.: Istorija Rossii. XIX vek . Drofa. Moskau 2010.
England
Evers, Charlotte: The Schools History Project. Britain 1783 - 1851. From Disaster to
Triumph. London 2003.
Morris, Terry: Europe 1760 - 1871. London 2000.
Stiles, Andrina/Rees, Dylan: Access to History. Napoleon, France and Europe. London 1993.
Österreich
Buxbaum, Elisabeth: Erlebnis Zeitreise 2. Wien 2002.
Donhauser, Gerhard/Bernlochner, Ludwig: Geschichte und Geschehen 3. Wien 2008.
Gießhauf, Johannes: Ganz klar: Geschichte 3. Wien 2007.
Kronberger-Schmid, Barbara: Zeitbilder 6. Wien 2013.
Lobner, Georg/Pokorny, Alexander/Lemberger, Michael: Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 6. Wien 2001.
Bildnachweise
(1) Epkenhans, Michael: Geschichte und Geschehen. Sekundarstufe I 3. Stuttgart/Leipzig 2010, S. 116.