Die Wahrnehmung in der Pfalz

 

1813

Die Pfalz gehörte ab 1798 zu dem Département du Mont-Tonnerre (dt. Donnersberg) mit Mainz als Hauptstadt. Im Frieden von Lunéville (1801) kam es schließlich zur endgültigen Annexion des linken Rheinufers durch Frankreich. Tiefgreifende Veränderungen für Staat, Politik und Gesellschaft waren die Folge – so wurde ab 1804 auch der Code Napoléon in der Pfalz eingeführt, wodurch eine neue Rechtsordnung in der Pfalz geschaffen wurde.

 

Departement du Mont Tonnere (Museum bei der Kaiserpfalz, Ingelheim)

 

Aus dem Hausbuch des Ackersmanns Johannes Hauck, wohnhaft in Leimersheim am Rhein:

(1801)
[] Kann es nicht begreifen, daß meine Tochter Veronika sich mit einem landfremden Welschen eingelassen hat. Gestern, den zweiten Weihnachtstag, hat Veronika Hochzeit gehalten mit dem welschen Zöllner, Lafort geheißen, in der „Krone“ ohne Vater und Geschwister, mag sie es nicht gereuen.[1]

 

(1814)
[] Allerseelentag. Brenne heute meinen Toten ein Lichtlein ab, meiner Frau und meinen Buben. Brenne auch ein Lichtlein für den Napoleon, so mir meine Kinder genommen hat und der schon tot ist, auch wenn er noch lebt. Weiß nicht, ob ich auch für Veronika ein Lichtlein brennen sollte. Ist gut, daß sie heimmüssen, die Welschen. Mitsammen ihrem Kaiser. Wären meine Buben dabei gewesen sie zu jagen, hätte sie beide gerne verloren dafür. Wär ein besserer Tod für die gewesen.[2]

 

Brief des preußischen Generalfeldmarschalls Gebhard Leberecht von Blücher an seine Frau:

Bacharach, den 1. Januar 1814

Herzens libe Frau.
Der frühe neujahrsmorgen wahr vor mich erfreulig da ich den Stolzen Rein Passirte, die uffer ertöhnten vor freudengeschrey, und meine braven Truppen Empfingen mich mit Jubel, der widerstandt des Feindes wahr nicht bedeuttendt, ich schlisse nun die Festung Mainz völlig ein, [] der lehrm von meinen braven Cameratten ist ist so groß daß ich mich verbergen muß damit alles zur Ruhe komt; die jenseittigen deutschen bewohner Empfangen uns mit Freudenträhnen [].
lebenslang dein Blücher.[3]

 

1863

Die Napoleonischen Kriege wirkten sich auch auf kleine Ortschaften wie beispielsweise Lampertheim aus. Nicht nur dadurch, dass sich viele französische Ausdrücke in den Dialekt einschlichen.
Eine bedeutende Wende im Kriegsgeschehen ergab sich vom 16. bis zum 19. Oktober mit der Völkerschlacht bei Leipzig, als das durch den russischen Winter stark geschwächte Heer Napoleon Bonapartes sich den Truppen von Preußen, Österreich, Schweden und Russland geschlagen geben musste. Die Verbündeten setzten nach der Schlacht der sich über den Rhein zurückziehenden französischen Armee trotz der beginnenden kalten Jahreszeit nach. Immer wieder kam es im Laufe der folgenden Wochen zu Gefechten mit Verlusten auf beiden Seiten. Doch am 31. März 1814 zogen die Monarchen von Preußen und Russland schließlich siegreich in Paris ein.

 

(2) Generalfeldmarschall
Gebhard Leberecht von Blücher. (Unbekannt, zw. 1815 und 1819, nach Paul Ernst Gebauer. Stiftung Stadtmuseum Berlin, Inv.-Nr. GEM 75/10)

 

Auch 50 Jahre nach der Völkerschlacht wurde der Sieg über Napoleon gefeiert. In der Chronik der evangelischen Gemeinde Lampertheims ist zu lesen:

 

19. October. Die 50jährige Gedächtnisfeier der am 16.-19. Oktober 1813 geschlagenen Völkerschlacht bei Leipzig wurde auch hier festlich begangen, [] Dort hielt vom Balcon des Rathhauses herab der katholische Lehrer Burk eine entsprechende Rede, gegen deren Ende ein bengalisches Feuer aufflammte. Der in dem Rathhaus versammelte Gesangsverein sang „Deutschland, Deutschland über alles“. Die Musik intonierte „Heil unserm Fürsten, Heil“, und der unabsehbare Zug bewegte sich nach dem Altrheine, wo Raketen in die Höhe stiegen [] gerade da wo der Sandbeuneweg mündet, ein mächtiges Freudenfeuer angezündet worden war. Dort sang man das von Gemeinderechner Roßler gedichtete Lied nach der Melodie

„Heil unserm Bunde, Heil“.

Schwer lag der Fremden Hand / Auf Volk und Vaterland / Schmachvolle Zeit / Heilige Völkerschlacht / Glühend sei dein gedacht / Von der Tirannen Macht / Hast du befreit!.[4]

 

1913

Blüchers Rheinübergang bei Kaub im Jahr 1813 gilt als Ereignis von kriegsgeschichtlicher Bedeutung. Dies geschah jedoch zu großen Teilen auf Kosten der Gemeinden Kaub und Weisel. Auch 100 Jahre danach war die Erinnerung in Kaub noch sehr lebendig und immer wieder Gegenstand von geschichtlichen Untersuchungen durch ansässige Heimatforscher.

 

(3) Wilhelm Camphausen, Blüchers Rheinübergang bei Kaub, 1859 (im Mittelrhein Museum Koblenz - Invent.-Nr.: M 489)

 

Karl Hahn, ein Lehrer aus Kaub, schrieb im Jahr 1913:

Als ich die Verzeichnisse des Abends bei Licht, manchmal mit vieler Mühe, entzifferte, fand ich auch in dem alten rauhen Papier die Wasserzeichen. So in dem einen, auf das der Pfarrer Stifft geschrieben, den Pfälzer Löwen mit dem Schwert, einen Bischof mit dreizackigen Stab in der Hand und überschrift alles im Papier: Pro Patria! Jawohl dachte ich: Fürs Vaterland haben die Leute alles dahingeben müssen. Nicht nur einmal, sondern zweimal.[5]

Erinnerung an das 100jährige Jubiläum der Befreiungskriege:

Wir gedenken also in diesen Tagen der großen Opfer, die die Weiseler Bevölkerung für das Vaterland vor 100 Jahren gebracht. Der Rhein ist wieder frei und Deutschlands Strom; möge es ewig so bleiben.[6]

 

Fazit: Es wird deutlich, dass die französische Fremdherrschaft von der Pfälzer Bevölkerung 1813 nicht gewünscht war. Hauck hält nicht viel von den „Welschen“ und wünscht sich sogar, dass seine Söhne im Kampf gegen Napoleon und für die Freiheit gefallen wären. Blüchers Brief an seine Frau vom 1./3. Januar 1814 stützt diese Aussage, indem er schreibt, dass die Bevölkerung bei seiner Ankunft in Jubel und Freudentränen ausbrach.
50 Jahre später zeigen sich bereits erste Veränderungen in der Wahrnehmung und Rezeption: Der Blick wird nun nach innen gerichtet, was sich unter anderem darin zeigt, dass der Vaterland-Gedanke stärker betont wird („Deutschland, Deutschland über alles“).
Zum 100jährigen Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig steht die Rezeption des Sieges nun gänzlich unter dem Einfluss des Vaterlandes: Es ging nicht gegen die Franzosen, sondern vielmehr darum, dass man das Vaterland retten müsse. Die Devise lautete „Pro Patria!“. Es ist also nicht der Feind, der die Kämpfenden eint, sondern ihre Herkunft. Deutlich tritt auch bei Hahn der patriotische Gedanke in den Vordergrund: Zum Wohle des Vaterlandes müsse es nun einmal Opfer geben, so Hahn.
Wurde die Bevölkerung 1813 noch durch den gemeinsamen Feind Napoleon geeint, entstand in den Folgejahren der Gedanke, dass man sich gemeinsam (= für das Vaterland) gegen Feinde von außen zur Wehr setzen müsse. Die Napoleonischen Kriege erhielten damit den Charakter eines Erinnerungsortes nach Pierre Nora.

 

Autorinnen und Autoren: Svenja Böres-Stopp, Julia Noll, Christopher Flauaus und Christopher Jakob

 


 

Fußnoten

 

[1]  Hauck, Johannes: Hausbuch des Ackersmann Johannes Hauck, wohnhaft zu Leimersheim in der Pfalz am Rhein. In: Gutting-Sondernheim: Saarpfälzischer Bauernkalender. Kaiserslautern 1939, S. 56f. Zit. n. Schneider, Erich (Hrsg.): „Triumph, die Freiheitsfahne weht…“. Die Pfalz im Banne der Französischen Revolution (1789-1814). Eine Sammlung zeitgenössischer Stimmen. Landau 1988 (= Pfalzbibliothek Bd. VI), S. 253.

[2] Ebd, S. 254.

[3] Blücher, Gebhard Leberecht von: Blücher in seinen Briefen. Ausgewählt von J. R. Haarhaus. Leipzig 1914, S. 50-51.

[4] Anonym: Evangelische Pfarrchronik. Lampertheim 1814.

[5] Hahn, Karl: Das Lager von Weisel bei Blüchers Rheinübergang (1814): Eine Hundertjahrerinnerung. [o.O.] 1914, S. 11.

[6] Hahn, Karl: Das Lager von Weisel bei Blüchers Rheinübergang (1814): Eine Hundertjahrerinnerung. [o.O.] 1914, S. 14.

 

Literatur

 

Anonym: Evangelische Pfarrchronik, Lampertheim 1814.

Blücher, Gebhard Leberecht von: Blücher in seinen Briefen. Ausgewählt von J. R. Haarhaus. Leipzig 1914.

Hahn, Karl: Das Lager von Weisel bei Blüchers Rheinübergang (1814): Eine Hundertjahrerinnerung. [o.O.] 1914.

Schneider, Erich (Hrsg.): „Triumph, die Freiheitsfahne weht…“. Die Pfalz im Banne der Französischen Revolution (1789-1814). Eine Sammlung zeitgenössischer Stimmen. Landau 1988 (= Pfalzbibliothek Bd. VI).

 

Bildnachweise

 

(1) [Anonym:] Departement du Mont Tonnere. Anfang des 19. Jahrhunderts (Museum bei der Kaiserpfalz, Ingelheim). In: Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%A9partement_du_Mont-Tonnerre#/media/File:Departementmt.png

(2) [Anonym:] Blücher. (zw. 1815 und 1819, nach Paul Ernst Gebauer. Stiftung Stadtmuseum Berlin, Inv.-Nr. GEM 75/10). In: Wikipedia. URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Gebhard_Leberecht_von_Bl%C3%BCcher#/media/File:Bl%C3%BCcher_(nach_Gebauer).jpg

(3) Wilhelm Camphausen, Blüchers Rheinübergang bei Kaub, Deutschland 1859 (im Mittelrhein Museum Koblenz - Invent.-Nr.: M 489). In: Wikimedia Commons. URL: URL: https://commmons.wikimedia.org/wiki/File:Wilhelm_Camphausen,_Bl%C3%BCchers_Rhein%C3%BCbergang_bei_Kaub.jpg?uselang=de