Die Wahrnehmung in Schlesien

 

1813

Der Widerstand gegen Napoleon und gegen die französische Fremdherrschaft erreichte in Schlesien 1813 seinen Höhepunkt: Breslau galt als Zentrum des Widerstands. Nahezu alle gesellschaftlichen Schichten wurden mobilisiert. An den Universitäten forderten die Professoren die Studenten zum bewaffneten Widerstand auf, ehe am 17. März 1813 schließlich der preußische König Friedrich Wilhelm III. auf Drängen seiner Berater und nach langem Zögern sein Volk schließlich zum Kampf gegen das napoleonische Frankreich aufrief.

 

(1) Henrik Steffens (Lithografie von Friedrich Jentzen nach einer Zeichnung von Franz Krüger)

 

Aus den Erinnerungen des Hochschullehrers Henrik Steffens, der ab 1811 an der Universität Breslau lehrte:

Wie oft hast du dich beklagt, sagte ich mir, daß du hier in diese Ecke von Deutschland hingeschleudert wurdest: und sie ist jetzt der Alles ergreifende, begeisternde Mittelpunkt geworden; hier fängt eine neue Epoche in der Geschichte an, […]. Thränen stürzten mir aus den Augen, ich fiel auf die Knie, […]. Es war das drückende Gefühl unglücklich verlebter Jahre, welches jetzt Worte fand.[1]

Auszüge aus den Berichten des Polizeipräsidenten Wilhelm Heinrich Streit aus Breslau:

21. April 1813
Heute hat die Losung für die Landwehr mit besten Erfolge ihren Anfang genommen.

2. Mai 1813
Die hiesige Landwehrverlosung ist […] gestern beendigt […]. Es haben sich incl. der Offiziers über 400 Freiwillige gemeldet.

5. September 1813
Die Freude der hiesigen Bewohner ist unaussprechlich groß, nachdem nunmehro die Provinz ganz vom Feinde befreit ist […].

24. Oktober 1813
Siegesnachrichten. […] Die ganze Stadt war erleuchtet und trotz des üblen Wetters strömten zahllose Menschen jubelnd durch die Straßen.[2]

 

(2) „An mein Volk“ – Aufruf Friedrich Wilhelms III. (abgedruckt in der Schlesischen privilegierten Zeitung 1813)

 

 

1913

Kurz vor dem Beginn des Ersten Weltkrieges gerieten die Napoleonischen Kriege erneut in den Fokus der Schlesier. Der Sieg über Napoleon wurde dabei für propagandistische Zwecke, wie im gesamten Deutschen Reich, wieder in die Erinnerung der Schlesier gerufen.

 

(3) Historische Karte des Regierungsbezirks Breslau in Schlesien, 1905

 

Im Jahr 1913 veröffentlichte Otto Meinardus in den Schlesischen Geschichtsblättern folgenden Aufsatz (Auszug):

Jetzt, da rauschend vorübergegangen, was die Zeit in mächtigem Schwunge hervorrief, es stiller und stiller um uns wir, laßt uns in diese heilige Ruhe das häuslichen Lebens treten, und uns in diesem erhabenen Bilde ein Muster finden, auch unser häusliches Leben zu veredeln und zu bessern, um auch so würdige Kinder des geliebten Landesvaters zu werden; daß deutscher Geist und Sinn immer mehr unter uns wieder emporwachse, und wir das zerstückte, flache, unhäusliche Leben, das der Ausländer uns einimpfen wollte, immer weiter von uns stoßen, und uns verachtend davon wenden.

[…] Einen solchen Eifer, wie bei dieser Aufforderung das Volk durchschütterte, haben wir wohl noch nie zu beobachten Gelegenheit gehabt, nie ward das Volkes innerer Wunsch so ausgesprochen als in diesen Augenblicken, und daher zeigten sich auch Aufopferungen, die der größten Bewunderung und Lobpreisung wohl werth wären, wenn nicht das Gefühl bei einem jeglichen lebendig lebte, daß für das Vaterland keine Aufopferung zu groß sei.

[…] Blicken wir auf die Stimmung des Volkes, so war sie durchaus freudig, aber auch bewegt von der Wichtigkeit des Tages. Bei allem Muthe, aller Anstrengung und aller Freude des Gemüts, hatte doch eine beängstigende Stille geherrscht, denn immer war das Wort, was ein jeglicher so sehr wünschte: Krieg gegen Frankreich! noch nicht ausgesprochen.

[…] In den Minen aller Anwesenden zeigte sich die lebhafteste Theilnahme, aber auch die feste Ueberzeugung, daß ein unvermeidlicher, zur Ruhe und zum Glück des Vaterlandes ganz entschiedener Krieg beginne.[3]

 

1929

Elf Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und 116 Jahre nach der Völkerschlacht bei Leipzig wurden die Napoleonischen Kriege gänzlich anders rezipiert. Das Schicksal der Bauern war sinnbildlich für das, was viele Gruppen und Gemeinden im Zuge der Befreiungskriege –  aber auch während des Ersten Weltkrieges – erlitten hatten.

 

Im Jahr 1929 schrieb Gotthard Münch über die Situation der Bauern und ihr Verhältnis zum Krieg:

»Aber vielleicht gibt es damals überhaupt keinen Mittelweg, wer nicht mit den Stürmern ist, ist wider sie. Und daß die Bauern Gegner des Krieges sind, läßt sich […] nicht bestreiten.

Ihre Franzosenfreundlichkeit deckt sich mit ihrer Friedensliebe. Sie halten die Verbündeten für die Angreifer und sind um so empörter über den Angriff, als sie ihn für aussichtslos halten und fürchten, daß sie letzten Endes die Folgen des unglücklichen Unternehmens am schwersten zu tragen haben werden.

Darum leisten sie den Kriegsmaßnahmen der Behörden nicht nur passiven Widerstand, sondern sie greifen aktiv zugunsten der Franzosen ein und treten mit ihnen in Verbindung, weniger weil sie glauben, ihnen Wichtiges mitzuteilen zu haben, als um sich der Huld derer zu versichern, die sie nun einmal für die Stärkeren halten.«[4]

 

Fazit: Zur Zeit der Napoleonischen Kriege war Breslau das Zentrum des preußischen Widerstandes gegen die Herrschaft Napoleons. Mit dem Aufruf Friedrich Wilhelms III. „An mein Volk“ (1813) wurde hier der Funke des Widerstandes verstärkt und in weiten Teilen Deutschlands zu einem Flächenbrand entfacht, welcher sich über Schlesien und schließlich ganz Preußen ausbreitete. Beseelt von dem Wunsch nach Befreiung von dem französischen Joch griff man in ganz Schlesien zu den Waffen – so die Quellen von 1813.
100 Jahre später hatte sich die Rezeption der Napoleonischen Kriege verändert: Vaterlandsliebe und Kriegsbegeisterung prägten den allgemeinen Zeitgeist am Vorabend des Ersten Weltkriegs vor dem Hintergrund der deutschen Einkreisungsphobie. Dies spiegelte sich auch in den Auseinandersetzung der Zeitgenossen mit dem Thema Napoleon und Frankreich wider.
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden eher kritische Stimmen in den Fokus gerückt: Kriegsmüdigkeit und Enttäuschung sowie ein neu erstarktes Bewusstsein von Not und Elend des Krieges führten zu einer differenzierteren und weniger heroischen Sicht auf die Zeit der Napoleonischen Kriege.

 

Autorinnen und Autoren: Svenja Böres-Stopp, Julia Noll, Christopher Flauaus und Christopher Jakob

 


 

Fußnoten

 

[1] Steffens, Henrik: Aus den Erinnerungen Henrik Steffens. In: Schlesische Geschichtsblätter (1913), S. 8-15.

[2] Loewe, Viktor: Die Königliche Familie in Breslau 1813. Auszüge aus den Berichten des Polizeipräsidenten Streit. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 47 (1913), S. 22-48.

[3] Meinradus, Otto: Stimmen der Zeit aus den großen Tagen Breslaus 1813. In: Schlesische Geschichtsblätter (1913), S. 1-21, 25-41.

[4] Münch, Gotthard: Der Landsturm der Kreise Schweidnitz, Striegau und Neumarkt im Jahre 1813 (Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Haltung der schlesischen Landbevölkerung). In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 63 (1929), S. 303-342.

 

Literatur

 

Loewe, Viktor: Die Königliche Familie in Breslau 1813. Auszüge aus den Berichten des Polizeipräsidenten Streit. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 47 (1913).

Meinradus, Otto: Stimmen der Zeit aus den großen Tagen Breslaus 1813. In: Schlesische Geschichtsblätter (1913).

Münch, Gotthard: Der Landsturm der Kreise Schweidnitz, Striegau und Neumarkt im Jahre 1813 (Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Haltung der schlesischen Landbevölkerung). In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 63 (1929).

Steffens, Henrik: Aus den Erinnerungen Henrik Steffens. In: Schlesische Geschichtsblätter (1913).

 

Bildnachweise

 

(1) Friedrich Jentzen: Henrik Steffens, Lithografie nach einer Zeichnung von Franz Krüger, Berlin 1828. In: Wikipedia. URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Henrich_Steffens (Aufruf am 26. Juli 2014).
(2) [Anonym:] An mein Volk. In: Wikipedia. URL: http://de.wikipedia.org/wiki/An_Mein_Volk (Aufruf am 27. Juli 2014).
(3) [Anonym:] Historische Karte des Regierungsbezirks Breslau in Schlesien, Deutschland 1905. URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Regierungsbezirk_Breslau (Aufruf am 27. Juli 2014).